27 Aug Ina und Aiven, der Therapiebegleithund
von Sarah Boyd | Referentin für Öffentlichkeitsarbeit des Club für britische Hütehunde e.V.
Der Name des Kindes wurde redaktionell verändert.
Jeden Tag ist unsere Welt ein bisschen schneller, lauter und greller. Viele Ebenen hat sie, übereinander gestapelt, untrennbar miteinander verbunden und doch getrennt. Jeden Tag manövrieren die meisten Menschen sich bewundernswert leicht hindurch. Aber nicht alle. Ina‘s Welt ist nicht weniger farbenfroh, nur enger, kleiner. Ihre Welt besteht aus dem Glitzern feiner Spinnweben, die sie stundenlang betrachten kann, konzentriert sich auf das Gefühl runder Kieselsteine, die sie immer wieder durch die Finger gleiten lässt, überrascht und zufrieden, dass dieses Gefühl sich nie gleicht und dennoch verlässlich ähnlich ist. Das Raunen des Windes, der an einem kahlen Ast rüttelt, erfüllt sie über Stunden ganz und gar, so dass nichts anderes Platz hat. Nicht einmal die Stimmen ihrer Eltern. In dieser Welt ist Ina sicher. Aber sie ist auch gefangen. Ina ist 12 Jahre alt und Autistin.
Es ist ein warmer Nachmittag, als Ina Aiven und Thomas zum ersten Mal begegnet. Thomas hält Aiven‘s Leine locker. Er kann ihm vertrauen — so wie der Hund ihm vertraut. Der kleine chinesische Schopfhund mit den klugen dunklen Augen und der Mann mit dem breiten sympathischen Lächeln sind ein eingespieltes Team. Der erste Schrecken, das innerliche Staunen, verfliegt schnell. Ina geht neben Aiven und Thomas, aber sie bleibt in ihrer eigenen Welt. Was am Ende des Tages klar ist, ist ein Kind, das nicht spricht — und ein kleiner Hund mit einer großen Aufgabe. Aus milden Frühlingstagen werden warme Sommerstunden. Dann färben sich die Blätter an den Bäumen leuchtend gelb und rot. Thomas und Aiven wissen nicht, ob Ina dem Rascheln der Blätter unter Aiven‘s kleinen Pfoten lauscht. Aber sie wissen, dass es genug ist für Ina, dass sie da sind. Der kleine Hund spürt den Windhauch der Veränderung zuerst. Er hebt den Kopf und sieht zu dem Kind auf. Ina erwidert seinen Blick nicht. Aber sie greift nach einem Leckerli in Thomas‘ Futterbeutel. So oft hat sie gesehen, wie Thomas Aiven füttert. Jetzt füttert Ina Aiven! Aiven nimmt das Bröckchen behutsam aus der Hand des Kindes, den Blick vertrauensvoll auf seinen Herrn gerichtet. Ina füttert Aiven nun immer, wenn Thomas und Aiven sie besuchen.
Die Jahreszeiten wechseln, sonst ändert sich lange nichts. Eines Tages aber nimmt Ina Thomas die Hundeleine aus der Hand. Sie tut dies mit einer Selbstverständlichkeit als ob es einfach so sein muß. Thomas lässt Ina’s Hand los und jetzt führt Ina Aiven an der Leine hin und her!
Wieder vergeht die Zeit, Wochen dehnen sich zu Monaten. Die Zeit des Besuchs neigt sich dem Ende zu. Der Hund ist müde. Der Therapieeinsatz ist anstrengend. Es ist Zeit, sich zu verabschieden. Und Ina sagt: „Tschüss, Aiven!“ Sie sagt das einfach so. Ihre Stimme hebt und senkt sich nicht, sie ist nicht laut, aber für Thomas ist es ein unfassbarer Moment, gleich dem erlösenden Donnergrollen nach einem schwülen Hochsommertag. Auch Aiven versteht die Größe des Augenblicks und sieht zu dem Kind auf. Und Ina sieht den kleinen Hund an! Sie haben sich verstanden.
Das Glück ist manchmal klein und unaufdringlich, so dass man es beinah übersieht. Aiven, der kleine chinesische Schopfhund, hat mit seinem Herrn mehr erreicht als alle Menschen vor ihnen. In Aiven’s treuen Augen spiegeln sich zwei Welten, als er sich zu Hause zufrieden an seinen Herrn schmiegt. Das Glück hat vier Pfoten.
Mehr Informationen:
Heritage of Han – Chinese Crested